Gabriele Sadowski
Abstrakt
Die (bio-)medizinische Forschung identifiziert ständig hochwirksame Arzneimittel mit hohem Potenzial für die Behandlung schwerer Zivilisationskrankheiten. Allerdings weisen solche Arzneimittel häufig eine sehr geringe Löslichkeit in Wasser (und damit in biorelevanten Medien) auf. Da sie während der Lagerung oder nach der Verabreichung zur Kristallisation neigen, können sie nicht für die Entwicklung von Arzneimitteln der nächsten Generation verwendet werden. Daher schaffen es etwa 80 % der derzeit in der Entwicklung befindlichen vielversprechenden Arzneimittel nie in ein Medikament. Es gibt verschiedene Ansätze, um die Bioverfügbarkeit von Arzneimitteln zu erhöhen. Die meisten von ihnen zielen darauf ab, das Arzneimittel in einer weniger stabilen, aber besser löslichen Modifikation zu formulieren, die mit Hilfe von Hilfsstoffen, z. B. Polymeren, stabilisiert werden soll. Das Finden des richtigen Hilfsstoffs für ein bestimmtes Arzneimittel ist jedoch recht schwierig und wird heute normalerweise durch einen „Versuch und Irrtum“-Ansatz mithilfe teurer Hochdurchsatz-Screening-Techniken ermittelt. Dies führt zu enormen Kosten für die Entwicklung fortschrittlicher Formulierungen und verhindert – wenn keine geeignete Formulierung gefunden wird – sogar, dass eine große Anzahl sehr vielversprechender Arzneimittel überhaupt in einem Medikament eingesetzt werden kann. Da pharmazeutische Formulierungen zwischen Herstellung und Verwendung üblicherweise gelagert werden müssen, muss außerdem sichergestellt werden, dass sich ihre Eigenschaften während dieser Zeit nicht ändern. Dies ist am besten gewährleistet, wenn sie thermodynamisch stabil sind, d. h. bei Wirkstoffkonzentrationen, die niedriger sind als die Wirkstofflöslichkeit in der Formulierung. Letztere wird in hohem Maße von der Art des Wirkstoffs und der Hilfsstoffe, von der Temperatur und von der relativen Luftfeuchtigkeit beeinflusst. Es wird gezeigt, dass der Einfluss der Luftfeuchtigkeit auf die Wirkstofflöslichkeit in ASDs sowie auf ihre kinetische Stabilität mithilfe thermodynamischer Modelle (1-3, 5) vorhergesagt werden kann. Dies liefert die Information, ob ein ASD unter feuchten Bedingungen kristallisiert (destabilisiert) oder nicht. Die Untersuchung der Kristallisationskinetik erfolgt jedoch üblicherweise durch zeitaufwändige Langzeitexperimente mit wiederkehrenden Untersuchungen der Kristallinität, z. B. durch Röntgenbeugung. In dieser Arbeit wird daher auch gezeigt, dass die Kinetik der Arzneimittelkristallisation in ASDs nur auf der Grundlage einfacher Wassersorptionsmessungen in Kombination mit einer hochmodernen thermodynamischen Modellierung der Arzneimittellöslichkeit in Polymeren unter feuchten Bedingungen bestimmt werden kann. Letzteres ermöglicht es, die gegenseitige Beeinflussung von Wassersorption und Arzneimittelkristallisation in der ASD zu berücksichtigen und so gleichzeitig die Menge an absorbiertem Wasser und kristallisiertem Arzneimittel vorherzusagen. Die Kenntnis der experimentellen Wassersorption als Funktion der Zeit liefert somit direkt die ASD-Kristallinität, ohne dass zusätzliche Röntgenmessungen erforderlich sind. Amorphe Feststoffdispersionen (ASDs) werden in der pharmazeutischen Industrie häufig zur Verbesserung der Löslichkeit schlecht wasserlöslicher Arzneimittel verwendet. Die physikalische Stabilität bleibt jedoch eine der größten Herausforderungen bei der Formulierungsentwicklung.Viele Faktoren können die physikalische Stabilität über unterschiedliche Mechanismen beeinflussen, daher ist ein tiefes Verständnis dieser Faktoren erforderlich.
Pharmaceutical scientists are increasingly interested in amorphous drug formulations especially because of their higher dissolution rates. Consequently, the thorough characterization and analysis of these formulations are becoming more and more important for the pharmaceutical industry. Here, fluorescence-lifetime-imaging microscopy (FLIM) was used to monitor the crystallization of an amorphous pharmaceutical compound, indomethacin. Initially, we identified different solid indomethacin forms, amorphous and γ- and α-crystalline, on the basis of their time-resolved fluorescence. All of the studied indomethacin forms showed biexponential decays with characteristic fluorescence lifetimes and amplitudes. Using this information, the crystallization of amorphous indomethacin upon storage in 60 °C was monitored for 10 days with FLIM. The progress of crystallization was detected as lifetime changes both in the FLIM images and in the fluorescence-decay curves extracted from the images. The fluorescence-lifetime amplitudes were used for quantitative analysis of the crystallization process. We also demonstrated that the fluorescence-lifetime distribution of the sample changed during crystallization, and when the sample was not moved between measuring times, the lifetime distribution could also be used for the analysis of the reaction kinetics. The recrystallization of amorphous solid dispersions may lead to a loss in the dissolution rate, and consequently reduce bioavailability. The purpose of this work is to understand factors governing the recrystallization of amorphous drug-polymer solid dispersions, and develop a kinetics model capable of accurately predicting their physical stability. Recrystallization kinetics was measured using differential scanning calorimetry for initially amorphous efavirenz-polyvinylpyrrolidone solid dispersions stored at controlled temperature and relative humidity. The experimental measurements were fitted by a new kinetic model to estimate the recrystallization rate constant and microscopic geometry of crystal growth. The new kinetics model was used to illustrate the governing factors of amorphous solid dispersions stability. Temperature was found to affect efavirenz recrystallization in an Arrhenius manner, while recrystallization rate constant was shown to increase linearly with relative humidity. Polymer content tremendously inhibited the recrystallization process by increasing the crystallization activation energy and decreasing the equilibrium crystallinity. The new kinetic model was validated by the good agreement between model fits and experiment measurements. A small increase in polyvinylpyrrolidone resulted in substantial stability enhancements of efavirenz amorphous solid dispersion. The new established kinetics model provided more accurate predictions than the Avrami equation.
Amorphe Feststoffdispersionen (ASDs) werden bei der Entwicklung schwerlöslicher pharmazeutischer Verbindungen immer häufiger eingesetzt. Diese Systeme bestehen aus einem amorphen aktiven pharmazeutischen Wirkstoff, der durch ein Polymer stabilisiert wird, um ein System mit verbesserter physikalischer und Lösungsstabilität zu erzeugen. ASDs werden allgemein als Mittel zur Verbesserung der scheinbaren Löslichkeit eines aktiven pharmazeutischen Wirkstoffs betrachtet. In dieser Übersicht werden Methoden zur Herstellung und Charakterisierung von ASDs erörtert, wobei der Schwerpunkt auf dem Verständnis und der Vorhersage der Stabilität liegt. Das theoretische Verständnis der Übersättigung und die Vorhersage der In-vivo-Leistung werden hervorgehoben. Darüber hinaus wird eine Zusammenfassung der präklinischen und klinischen Entwicklungsbemühungen präsentiert, um dem Leser ein Verständnis der Risiken und wichtigsten Fallstricke bei der Entwicklung einer ASD zu vermitteln. Die Verwendung amorpher Feststoffdispersionen ist eine interessante Strategie zur Steigerung der Bioverfügbarkeit schwerlöslicher Arzneimittel durch Verbesserung ihrer Auflösungsgeschwindigkeit und ihres Auflösungsgrads. Das mangelnde Verständnis der physikalischen Chemie und ihres In-vivo-Verhaltens behindert noch immer einen vollständigen Durchbruch in der Pharmaindustrie.
Biographie
Gabriele Sadowski ist ordentliche Professorin für Thermodynamik an der TU Dortmund. Sie ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften und Künste Nordrhein-Westfalen und der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Sie ist Vorsitzende der deutschen Arbeitsgruppe Thermodynamik und die deutsche Vertreterin in der europäischen Arbeitsgruppe Thermodynamik und Transporteigenschaften. Sie ist Autorin von etwa 200 wissenschaftlichen Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften im Bereich der chemischen, biochemischen und pharmazeutischen Verfahrenstechnik. Der Schwerpunkt ihrer Forschung liegt auf der Untersuchung thermodynamischer Eigenschaften komplexer Systeme, insbesondere, aber nicht ausschließlich, solcher, die biologische und pharmazeutische Moleküle enthalten. Um die thermodynamische Stabilität dieser Systeme zu modellieren, entwickelte ihre Gruppe das derzeit weltweit am häufigsten verwendete thermodynamische Modell PC-SAFT, das 2001 veröffentlicht wurde. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, die prestigeträchtigste davon war der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Jahr 2011.